Social Design Guide – Prozesse planen und begleiten – Masterarbeit von Jennifer Gallen – Evaluierung

Ich habe mir die Masterarbeit „Social Design Guide – Prozesse planen und begleiten“ von Jennifer Gallen ausgesucht. Die Arbeit wurde 2018 an der Hochschule München im Rahmen des Masterstudiengangs Advanced Design verfasst. Es geht um die Entwicklung von Konzepten zur Unterstützung von Social Design Projekten. Die Autorin stellt die Frage: „Wie können Personen dabei unterstützt werden, Social Design Projekte durchzuführen?“

Gestaltungshöhe

Ergebnis der Arbeit war das Konzept des Projekt- und Methodenschranks. Dieses wurde in eine umfangreiche und ständig wachsende digitale Ressource übersetzt, die strukturiert und sortiert alle Werkzeuge enthält, die das Lab für die Projektarbeit zur Verfügung stellt. Darüber hinaus gibt es den Social Design Guide, ein intelligentes Tool, das dabei hilft, sich in dieser Menge an Material zurecht zu finden und Projekte und Workshops zu planen. Der Entwurf wurde sehr sorgfältig ausgearbeitet und durch mehrere Iterationsschleifen mit den Personen, die das Konzept dann auch anwenden, optimiert.

Die Inhalte wurden als Website aufbereitet, deren Corporate Design auch auf das Social Design Lab der Stiftung übertragen wurde. In der Masterarbeit findet man Screendesigns, Prototypen, Corporate Design Guides, Personas, etc. Es wurde auch ein Social Design Guide entwickelt um das Starten von eigenen Projekten zu vereinfachen.

Der Prototyp der Website ist sehr ansprechend gestaltet und das Corporate Design, dass entwickelt wurde ist sowohl auf der Website, im Design Guide, im Social Design Lab und in der Masterarbeit selbst zu finden.

Innovationsgrad

Es wurde ein eigenes Toolkit und eine Übersicht über Social Design Methoden etwickelt, die dann einem Social Design Lab der Hans Sauer Stiftung zur Verfügung gestellt wurde. Folgende Fragen und Aspekte wurden für dieses Toolkit erarbeitet:

  • Übersicht über Methoden
  • Methodische Anleitungen
  • Videos (zur Benutzung der Methoden)
  • Hinweise zur Kombination von Methoden
  • Templates für Workshop-Abläufe (verschiedene Längen)
  • Beispiel-Abläufe von Workshops inkl. Methoden und Ergebnissen
  • Workshop-Generator
  • Beispiele, Case Studies (in Bezug zu Methoden gesetzt)
  • Ein Prozess-Guide
  • Gliederung nach Projektphase: „Wie finde ich erste Ideen?“ bis hin zu „Wie setze ich mein Projekt um?“
  • Dos & Don’ts für wichtige Prozessschritte
  • Nudging (Methoden und Know-How)
  • Infos /Hilfe zu Gruppenprozessen
  • Wie motiviert man die TN, danach weiter zu machen

Das ganze Konzept ist so ausgelegt, dass es den unterschiedlichen Ziel – gruppen gerecht wird. Für unerfahrene Nutzer gibt es die Möglichkeit, sich vom Guide komplett führen zu lassen. Personen mit Projekterfahrung und konkreten Vorstellungen können dagegen auch sehr selbstständig ihre Workshopkonzepte erstellen und lediglich auf die vorhandenen Vorlagen und Pläne zugreifen oder diese individuell anpassen. Für Social Design Interessierte ohne konkretes Projektvorhaben besteht die Möglichkeit zu stöbern und sich so durch die Fülle an Wissen und Werkzeugen zu klicken. Der Über – gang zwischen digital und analog ist fließend: Zu allen wichtigen Ressourcen gibt es auch Druckversionen, die wiederum durch die Online-Inhalte ergänzt werden. So findet kein Bruch zwischen den Medien statt.

Die Inhalte wurden als Website aufbereitet, deren Corporate Design auch auf das Social Design Lab der Stiftung übertragen wurde. Außerdem wurde ein Social Design Guide entwickelt, um das Erstellen eigener Projekte zu vereinfachen.

Meiner Meinung nach ist es ein sehr innovatives Projekt, da es sehr schwer ist sich in der Vielfalt der Methoden zurechtzufinden, recherchiert, welche für welchen Zweck in welchem Rahmen sinnvoll sind und die Ergebnisse dann so präsentiert, dass sie auch für Nicht-DesignerInnen verständlich und anwendbar sind.

Selbstständigkeit und Kommunikationsgrad

Es wurden bestehende Konzepte aus der Praxis untersucht und verglichen. Die Arbeit wurde in Kooperation mit der Hans Sauer Stiftung verfasst. Erarbeitete Konzepte sollen dort dann Anwendung finden. Um das zu erreichen hat die Autorin mehrere Workshops mit den MitarbeiterInnen der Stiftung durchgeführt, Feedbackschleifen und Bedenken wurden in den Entwurf miteingearbeitet und so das Toolkit iterativ verbessert und optimiert. Die Ergebnisse aus der Konzeptentwicklung ergaben, dass es für das Social Design Lab sinnvoll ist, eine umfangreiche, digitale Methoden- und Wissens-Sammlung aufzubauen, die gleichzeitig in die Strukturen des Labs eingebettet ist. Das Lab ist somit kompetenter Dienstleister für Social Design: Es hat das fachliche Know-How und die Werkzeuge und ist gleichzeitig persönlicher Ansprechpartner mit einem Netzwerk zur Unterstützung im Hintergrund. So kann sichergestellt werden, dass die Methoden auch tatsächlich genutzt werden und bei Unsicherheiten jederzeit der persönliche Kontakt zum Lab gesucht werden kann.

Die Autorin hat selbst mit den Inhalten ihrer Recherche eine Website erstellt sowie einen Social Design Guide entwickelt. Auch die Workshops, die mit der Stiftung veranstaltet wurden, wurden von ihr geplant, strukturiert und abgehalten.

Gliederung und Struktur

Die Arbeit Beginnt mit einer Einführung in das Thema Social Design, es werden verschiedene Aspekte von Social Design sowie die Rolle des Designers oder der Designerin behandelt. Danach geht es um die Methoden, die im Social Design verwendet werden. Dazu wird untersucht, um was für Methoden es sich handelt, welchen Bereichen sie zuzuordnen sind und wie sie strukturiert werden können.

Mithilfe dieser Recherche wurde dann eine praktische Arbeit geschaffen. Dieser Entstehungsprozess wird in der Arbeit in die Entwicklung des Konzepts und in das Ausprobieren des Entwurfes gegliedert. Prozessmodelle und Anforderungen an den Entwurf wurden gestellt und dann iterativ, in Kooperation mit den MitarbeiterInnen der Stiftung optimiert.

Ein weiterer Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Website, die erstellt wurde um die Inhalte aufzubereiten. Danach findet man noch Informationen zu einem Social Design Guide, der auch im Rahmen der Masterarbeit entwickelt wurde sowie einem Ausblick, was die nächsten Schritte wären und wie man das Projekt weiterführen und noch genauer testen und ausarbeiten könnte.

Die Arbeit ist sehr übersichtlich gegliedert. Um das erarbeitete Konzept vollständig verstehen und anwenden zu können, ist kein Hintergrundwissen notwendig, möchte man jedoch die Entwicklung des Konzeptes nachvollziehen können, ist die theoretische Recherche zu Beginn der Arbeit eine große Hilfe.

Umfang der Arbeit

Insgesamt hat die Arbeit 86 Seiten, wobei der Theorieteil, die Recherche und die Erarbeitung des Konzeptes den größten Teil in Anspruch nehmen. Diese Bereiche wurden sehr sorgfältig und detailliert ausgearbeitet. Danach sind noch die Werkstücke wie der Prototyp der Website sowie der Social Design Guide zu finden. Hierbei handelt es sich um Screenshots und Screendesigns, die ebenfalls sehr ins Detail gehen. Mir persönlich erscheint die Arbeit um einiges umfangreicher als die Masterarbeiten, die ich von der FH Joanneum kenne.

Orthographie, Sorgfalt und Genauigkeit

Mir persönlich sind keine Fehler aufgefallen, sowohl die inhaltliche als auch die visuelle Gestaltung sind einwandfrei. Gerade was die Recherche und die Methodik sowie die Erarbeitung des Konzeptes betrifft war ich sehr beeindruckt von der Professionalität, Genauigkeit, Sorgfalt und der detailreichen Ausarbeitung und Erstellung.

Literatur

Es wurde sowohl Literatur aus der Designtheorie und Designforschung sowie auch aus den Sozialwissenschaften verwendet. Das Literaturverzeichnis umfasst 42 Literaturquellen. Viele der Literaturquellen könnten auch für meine Arbeit sinnvoll sein, weshalb ich froh bin, diese Arbeit analysiert zu haben.

Vorteile und die richtige Anwendung von Gamification

In den letzten zwei Blogposts wurde näher darauf eingegangen, wie Gamification genutzt wird um Menschen dazu zu motivieren, zu handeln und mit etwas zu interagieren. Welche 8 Hauptantriebe gibt es, die zum Handeln motivieren und wie wirken sie sich auf die NutzerInnen aus? Auf welche sollte man zurückgreifen, wenn man auf langfristigen Erfolg aus ist, welche eigenen sich für kurzfristige Ziele und warum? Das alles wurde bereits behandelt, doch was genau sind jetzt die Vorteile von Gamification, was hat ein Betrieb davon bestimmte Prozesse zu gamifizieren oder bestimmte Produkte spielerischer zu gestalten?

Zuerst sollte einmal eine allgemeine Definition des Begriffs Gamification gefunden werden. Gamification ist die Nutzung spielerischer Elemente in einem spielfremden Kontext. So kann die Interaktionsrate, die Produktivität, Lernbereitschaft und auch die Motivation gesteigert werden. Gamification kann in Unternehmen, zu Lernzwecken, bei Produkten, Dienstleistungen, Plattformen oder Services verwendet werden. Im folgenden Blogpost soll es um einige Vorteile gehen, von denen man profitieren kann, wenn man Gamification integriert.

  1. Produktivitätssteigerung

Je motivierter Menschen sind, desto produktiver sind sie auch. Arbeitet man unter demotivierenden Arbeitsbedingungen in einem Unternehmen, erbringt man auch weniger und schlechtere Leistungen als wenn man gut unterstützt und motiviert wird. Eine spielerische Art und Weise, schafft ein entspannteres Umfeld und kann so zu einer Leistungssteigerung führen.

2. Motivationssteigerung

Bei der Verwendung von Gamification wird oft mit Erfolgskonzepten und Belohnungssystemen gearbeitet. Besonders gute Leistungen werden belohnt und spornen deshalb an, sie weiterhin zu erbringen. Das spielerische Setzen von Zielen erleichtert das tatsächliche Erreichen oder sogar Übertreffen dieser. So kommt es zu größerem Ehrgeiz, mehr Zufriedenheit, mehr Motivation und auch besseren Leistungen.

3. Gesteigertes Engagement

Der Arbeitseinsatz oder auch die Interaktionsrate von Kunden und Kundinnen steigt und die Menschen setzen sich mehr für ihr Unternehmen, ein Produkt, etc. ein. Durch diese gestärkte Identifikation mit etwas, profitieren Unternehmensziele, die Unternehmenskultur aber auch das Produkt, die Plattform oder der Service selbst. Auch die Bindung eines Kunden zu einer Marke kann dadurch weiter gestärkt werden.

4. Mehr Kreativität

Wenn Menschen spielerisch in Prozesse miteinbezogen werden, kommt es zur Entstehung kreativerer und breiter gestreuten Herangehensweisen und Ideen. Oft werden Ideen, Meinungen und Input von Nutzern und Nutzerinnen oder MitarbeiterInnen nicht beachtet, was zu einem großen Verlust an neuen Herangehensweisen führt. Dieses Potenzial sollte unbedingt ausgeschöpft werden, wobei spielerische Aktivitäten eine tolle Möglichkeit sind um Menschen anzuspornen kreativ zu denken.

5. Optimierung der Fähigkeiten

Gamification kann natürlich auch für Lernzwecke genutzt werden, ob in Unternehmen, Schulen, Ausbildungsprogrammen oder anderen Situationen spielt dabei keine Rolle. Viele Studien konnten schon beweisen, dass spielerisches Lernen durch eine freundliche Wettbewerbssituation motiviert, anspornt und tolle Erfolge erzielen kann. Spielerisches Lernen animiert die Teilnehmer weiterzumachen und aktiv und motiviert bei der Sache zu bleiben. Es kommt dadurch zu einer besseren Lernerfahrung, da man nicht „nur“ lernt, sondern auch Spaß dabei empfindet. Auch die Lernumgebung ist durch gamifiziertes Lernen oft angenehmer, und direktes Feedback trägt dazu bei, dass das Gelernte weiter gefestigt wird. Der universelle Einsatz trägt ebenfalls zum Erfolg von gamifizierten Lernprozessen bei.

6. Innovationssteigerung

Gerade in Unternehmen führt Gamification zu mehr Engagement, mehr Motivation, Produktivität und Kreativität, was sich oft in verbesserten Leistungen und neuen Innovationen äußert.

7. Steigerung der Markenbekanntheit

Wie vorher schon erwähnt wurde, werden Kunden durch gamifizierte Prozesse eher an ein Unternehmen gebunden und auch Mitarbeiter identifizieren sich mehr, mit dem was sie tun. Die Kombination aus beidem kann zu einem Wachstum der Bekanntheit einer Marke führen. Gamifizierte Programme können genutzt werden um die firmeninterne, aber auch firmenexterne Kommunikation zu verbessern, das Image einer Marke zu stärken und sie so besser im Markt zu platzieren.

Natürlich profitiert man nur von all‘ diesen Vorteilen nur wenn man Gamification richtig einsetzt. Scoringsysteme, das Aufsteigen in Levelform und das Geben von Echtzeit-Feedback, können, wenn sie falsch verwendet werden aber auch zu einem ungesunden Konkurrenzkampf und Frustration führen. Es ist wichtig, den menschlichen Aspekt nicht zu vernachlässigen und auch Feedback in anderen Formen zu geben als durch gamifizierte Prozesse. Gamification sollte eine Möglichkeit sein, auf freiwilliger Basis basieren und nicht zu einem Zwang werden. Denn wie das passieren und wie man es vermeiden kann, wurde schon im letzten Blogpost „Das Konzept der Motivation“ erläutert.

Das Konzept der Motivation

Im letzten Blogpost wurden 8 verschiedene Motivatoren, die NutzerInnen zum Handeln und Interagieren auffordern, erläutert. In diesem Blogpost soll dieses Wissen noch erweitern und ergänzt werden, indem näher auf die Kategorisierung der Motivatoren und die Unterschiede intrinsischer und extrinsischer Motivation eingegangen wird. Die 8 Hauptfaktoren, die im letzten Blogpost beschrieben wurden, sind:

  1. Bedeutung und Berufung
  2. Entwicklung, Leistung und Erfolg
  3. Bestärken von Kreativität und Feedback
  4. Eigentum
  5. Sozialer Einfluss und Bezug
  6. Mangel und Ungeduld
  7. Unberechenbarkeit und Neugier
  8. Vermeidung und Verlust

Bewusste Entscheidung vs. Dringlichkeit

Diese, gerade genannten, Faktoren funktionieren aber nicht auf dieselbe Art und Weise und können weiter in zwei verschiedene Kategorien eingeteilt werden. Die ersten 3 Möglichkeiten NutzerInnen zum Handeln zu bewegen beruhen auf dem Prinzip von Macht und Kontrolle, Nutzer und Nutzerinnen entscheiden sich bewusst zur Handlung, ohne, dass ein Gefühl von Dringlichkeit zu spüren ist. Viel mehr verspüren sie Macht und Kontrolle über ihr Handeln, Befriedigung und Erfüllung.

Die letzten drei Faktoren hingegen beruhen auf genau diesem Gefühl der Dringlichkeit. NutzerInnen fühlen sich dazu gedrängt schnell zu handeln, da die Möglichkeit sonst eventuell wieder verschwindet. Langfristig gesehen, führt dieser Ansatz jedoch dazu, dass sich NutzerInnen eher entmutigt fühlen und dadurch davon abgehalten werden zu reagieren, zu interagieren und zu handeln. Denn durch das Gefühl etwas unbedingt jetzt gleich machen zu müssen, kommt auch ein Gefühl des Kontrollverlustes mit, Nutzer und Nutzerinnen haben so weniger Kontrolle über ihr Verhalten und treffen Entscheidungen weniger bewusst und ohne lange darüber nachzudenken. Im schlimmsten Fall kommt es zu Gefühlen wie Sucht und Besessenheit.

Möchte man also ein Produkt oder eine Plattform entwerfen, für die Interaktionen notwendig sind, sollte man sich langfristig eher auf die Motivatoren Bedeutung und Berufung, Entwicklung, Leistung und Erfolg sowie dem Bestärken von Kreativität und Feedback konzentrieren. Gute Beispiele für die Mischung der beiden Kategorien sind Videospiele, es wird viel mit Belohnung, dem Bestärken von Kreativität oder der Messung von Erfolg gearbeitet. Doch auch Zeitdruck und zeitlich begrenzte Möglichkeiten werden oft genutzt um mehr Spannung zu kreieren. Wird ein zu großer Fokus auf die Motivatoren Mangel und Ungeduld, Unberechenbarkeit und Neugier oder Vermeidung und Verlust gelegt, führt das meist dazu, dass das Spiel gerade anfangs süchtig macht und NutzerInnen es fast zwanghaft spielen, jedoch nach einer Zeit das Interesse verlieren und ganz damit aufhören.

Extrinsisch vs. intrinsisch

Neben dieser Unterteilung, können die acht Hauptantriebe auch noch in extrinsisch und intrinsisch unterteilte werden. Von den acht Hauptfaktoren, die im letzten Blogpost näher beschrieben wurden gehören Nummer 2,4 und 6, also Entwicklung, Leistung und Erfolg, Eigentum und Mangel und Ungeduld zu den extrinsischen Antrieben. Nutzer und Nutzerinnen handeln um eine Belohnung zu bekommen oder einer Bestrafung zu entkommen. Also der Lohn motiviert und nicht die Handlung selbst. Beispiele dafür wären zu Arbeiten nur des Geldes wegen und nicht weil einen die Arbeit erfüllt, das Lernen um eine gute Note zu bekommen oder auch das Teilnehmen an Wettbewerben um etwas zu gewinnen.

Die Antriebe 3,5 und 7, also das Bestärken von Kreativität und Feedback, Sozialer Einfluss und Bezug, sowie Unberechenbarkeit und Neugier gehören zur Kategorie der intrinsischen Motivation. NutzerInnen beschäftigen sich mit einer Interaktion, weil sie, sie als bereichernd empfinden und nicht um eine Belohnung zu bekommen. Man handelt um des Handelns Willen und nicht wegen des Lohns. Beispiele dafür wären künstlerische Selbstverwirklichung oder das Teilnehmen an Events und Dingen, die einem selbst Spaß machen.

Hier ist es noch wichtig zu wissen, dass extrinsische Motivation oft ein Feind der intrinsischen Motivation ist. Ist ein Künstler dazu gezwungen mit seiner Kunst Geld zu verdienen, verliert er womöglich den Spaß daran, was die Motivation künstlerisch tätig zu sein zu einer extrinsischen Motivation werden lässt. Deshalb sollte man sich auch hier langfristig eher auf die intrinsische Motivation konzentrieren um die Neugier und das Interesse des Nutzers oder der Nutzerin zu wecken und sie so zu einer Interaktion oder Handlung zu bewegen.

Wie also zu erkennen ist, ist es wichtig den Nutzer oder die Nutzerin auf die richtige Art und Weise zu motivieren um langfristig gute Ergebnisse vorweisen zu können. Gamification kann Bedeutung in ein Produkt oder eine Plattform bringen indem man sich die Frage stellt: „Was bewegt einen Nutzer oder eine Nutzerin dazu, dieses Produkt, die Plattform oder den Service beispielsweise zu verwenden?“. Versteht man das Konzept der Motivation ist es viel einfacher eine gute User Experience zu schaffen und langfristig Kunden und Kundinnen zu gewinnen. Es lässt uns verstehen wieso bestimmte Dinge besonders gut funktionieren und anderen wieder nicht. Denn die richtige Verwendung der Motivatoren gibt dem Produkt oder dem Service nicht nur mehr Bedeutung, sondern auch mehr Wert.

Das Octalysis Framework von Yu-Kai Chou

Gamification ist nicht nur das Hinzufügen von Punkten, Belohnungssystemen oder Wettbewerb zu einem schon bestehenden Prozess, Vorgang oder Produkt. Es geht vielmehr darum, herauszufinden was Nutzer oder Kunden dazu motiviert ein bestimmtes Produkt zu verwenden oder Prozess zu nutzen.

Um einen erfolgreichen Prozess oder ein erfolgreiches Produkt zu entwickeln ist es wichtig zu wissen, welche Anreize es für Nutzer braucht um dieses auch zu verwenden.

Das Octalysis Framework von Yu-Kai Chou ist ein Gamification Framework, das 8 Hauptfaktoren identifiziert, die für das Handeln von Nutzern verantwortlich sind. In diesem Blogpost soll näher auf diese 8 Faktoren, sowie die Schlüsse die man daraus für beliebige Gamification Projekte ziehen kann, eingegangen werden. Fehlen diese Faktoren hat der Nutzer keine Motivation mit dem Vorgang, Prozess oder Produkt zu interagieren.

  1. Bedeutung und Berufung

Bei diesem Anreiz haben Nutzer das Gefühl in etwas involviert zu sein, was größer als sie selbst ist. Deshalb schreiben Menschen auch stundenlang kostenlose Wikipedia Artikel um Wissen zu dokumentieren und weiterzugeben. Um Vorteile aus diesem Prinzip für ein Produkt oder einen Vorgang zu ziehen ist es wichtig sich folgendes zu fragen:

Kann ich eine Möglichkeit finden um den Usern durch die Interaktion das Gefühl zu geben anderen Menschen helfen zu können und ihnen damit das Gefühl zu geben, dass sie wichtig sind und dass das was sie tun Bedeutung hat?

Kann ich durch die Interaktionen von Nutzern zu etwas größerem beitragen?

2. Entwicklung, Leistung und Erfolg

Dieser Punkt spricht das innere Verlangen Fortschritte zu machen, Fähigkeiten zu entwickeln, dazuzulernen, Herausforderungen zu bewältigen und das Gefühl Erfolg zu verspüren, an. Um dieses Gefühl zu verstärken muss es vor der Belohnung auch ein Hindernis oder eine Herausforderung geben, da die Belohnung sonst stark an Wert verliert. Deshalb funktioniert das Follower Prinzip auf Social Media auch so gut. Umso mehr Follower umso mehr Erfolgsgefühl stellt sich bei den Usern ein. Das verstärkt sich noch weiter, wenn der Fortschritt, in diesem Fall die Follower, gemessen werden kann. Anzeigen von Fortschritt bewegt auch viele Social Media User ihr Profil zu vervollständigen, da sonst ein Gefühl von Unvollständigkeit entsteht. Um dieses Prinzip zu verwenden sollte man sich folgende Fragen stellen:

Wie kann ich den Usern ein Gefühl von Erfolg und Bewältigung vermitteln?

Kann ich den Prozess visualisieren um einen zusätzlichen Anreiz zu geben, diesen auch zu vervollständigen?

Kann ich eine Herausforderung oder ein Hindernis einbauen um den Wert der Belohnung und das Gefühl von Erfolg zu steigern?

3. Bestärken von Kreativität und Feedback

Dieser Anreiz für Interaktion ist einer der größten Motivationen wenn es zu kreativen Prozessen kommt. Es ermöglicht den Nutzern selbst kreativ zu sein, ihnen Feedback zu geben und ihnen zu ermöglichen, Verbesserungen durchzuführen. Ein Beispiel dafür wäre Minecraft, da die Spieler kreativ sein, etwas erschaffen und das dann auch beliebig ändern können. Dieser Punkt ist Anreiz für das Spielen von verschiedensten Spielen. Um ihn auch für andere Zwecke nutzen zu können, sollte man sich folgendes fragen:

Wie schaffe ich kreativen Freiraum für die User?

Können die User auf verschiedenen Wegen zum Ziel kommen?

Kann ich Usern Möglichkeiten zur Verwendung verschiedener Tools, Fähigkeiten oder Personalisierung geben?

4. Eigentum

Bei diesem Anreiz kommt die Motivation aus einem Gefühl von Besitz. Wenn Nutzer das Gefühl haben, etwas gehört ihnen, ist die Motivation es zu verbessern, zu personalisieren und auch zu beschützen, größer. In der realen Welt ist das ein großer Faktor, der uns Geld verdienen lässt. Ein gamifiziertes Beispiel für den dieser Anreiz verantwortlich ist, ist beispielsweise das Sammeln von Pokemonkarten. Um ihn sich auch für andere Dinge zu Nutzen zu machen, sind folgende Fragen hilfreich:

Kann ich Usern einen Raum bieten, in dem er verschiedene Aspekte personalisieren kann?
Ist es möglich Dinge zu integrieren, die gesammelt werden können und ein Gefühl von Eigentum vermitteln?

Wie sonst kann man ein Gefühl von Eigentum und Besitz schaffen um die Nutzer dazu zu motivieren sein „Eigentum“ zu verteidigen und zu beschützen.

5. Sozialer Einfluss und Bezug

Das ist vor Allem ein Anreiz für Menschen, die sich viele Gedanken darum machen, was andere über sie denken. Bezug zu Dingen oder Themen kann erschaffen werden, wenn geteilte Erfahrungen, Interessen oder auch ein Gefühl von Erinnerung und Nostalgie vorhanden sind. Amazon zum Beispiel macht sich diesen Anreiz zu Nutze indem immer weitere Produkte vorgeschlagen werden, die Bezug zum vorherigen haben und es einen eigenen Bereich für Rezensionen gibt. Auch Memes beruhen auf diesem Prinzip. Deshalb sollte man sich immer fragen:

Wie ermögliche ich es den Usern untereinander zu kommunizieren und sich auszutauschen?

Kann man den Nutzern etwas geben, in dem sie sich selbst erkennen können oder das sie nachempfinden können?

Kann man eine Art Wettbewerb oder auch eine Möglichkeit zu Teamwork schaffen?

6. Mangel und Ungeduld

Man möchte etwas noch mehr, wenn man es nicht haben kann. Deshalb funktionieren limitierte Angebote so gut, Menschen denken, dass sie jetzt sofort handeln müssen um einen Vorteil daraus zu ziehen, da die Chance sonst wieder verfliegt. Um sich das zu Nutze zu machen, kann man sich folgende Fragen stellen:

Wie kann man ein Gefühl von Mangel hervorrufen um Mensch zu suggerieren, dass sie sofort handeln müssen?

Wie schaffe ich ein Gefühl von Exklusivität?

Kann ich limitierte Möglichkeiten, Angebote, Zugänge, etc. implementieren?

7. Unberechenbarkeit und Neugier

Die Menschheit ist von Natur aus Neugierig, außerdem leben die meisten Menschen nicht im Hier und Jetzt sondern immer in der Vergangenheit oder Zukunft, es wird immer spekuliert, was als nächstes passiert. Solange etwas ungewiss ist, sind Menschen sehr motiviert daran zu arbeiten bis die Situation geklärt ist und Gewissheit herrscht. Deshalb bringen Cliffhanger am Ende einer Serie Zuseher auch dazu stundenlang fernzusehen. Um dieses Prinzip auch auf andere Aspekte anzuwenden, sollte man sich folgende Fragen stellen:

Wie kann man den Zufall in etwas miteinbeziehen, wie schaffe ich eine unvorhersehbare Situation, die Menschen fesseln kann?

Wie gebe ich Raum zum Entdecken neuer Aspekte?

Kann man die Nutzer mit unerwarteten Belohnungen überraschen und somit zum Weitermachen motivieren?

8. Vermeidung und Verlust

Die Angst etwas zu verlieren und den Drang etwas Schlechtes zu vermeiden gehören ebenfalls zu den 8 Hauptmotivationen zum Handeln. In verschiedenen psychologischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass das Vermeiden von Verlust mehr motiviert als das Gewinnen von neuen Dingen. Das beste Beispiel dafür ist der Black Friday, Menschen wird das Gefühl vermittelt, dass sie die Chance verlieren Rabatte zu bekommen. Limitierte Angebote schaffen die Dringlichkeit zu handeln. Um auch dieses Prinzip zu nutzen, können folgende Fragen hilfreich sein:

Wie vermittelt man ein Gefühl von Verlust, sobald die User aufhören?

Wie schafft man limitierte Möglichkeiten, die verschwinden, wenn nicht sofort gehandelt wird?

Gibt es eine Möglichkeit, dass das Weitermachen belohnt wird?

Um ein erfolgreiches Produkt, etc. zu schaffen, sollte man also immer zuerst analysieren, was die Menschen dazu bringt dieses auch zu verwenden oder zu bedienen. Erst wenn man weiß warum sie tun, was sie tun kann das Produkt oder der Prozess ein Erfolg werden. Diese Prinzipien können natürlich nicht nur im Verkauf verwendet werden, sondern auch als Motivation für weitaus bedeutungsvollere Handlungen sein. Hier liegt dann die Aufgabe des Designers ode der Designerin, die richtigen Anreize für die richtigen Handlungen zu identifizieren um so etwas erreichen zu können.

Pink Elephants on Parade – Szenenanalyse aus dem Disneyfilm Dumbo

Wie man in den vorherigen Blogposts schon lesen konnte, sind Berauschung und Rauschzustände Themen in aldlen Kulturräumen und Gesellschaftsgruppen. Es handelt sich um ein universelles Phänomen, das als Suchmittel, zu medizinischen Zwecken aber auch zur künstlerischen Anregung oder als Inspirationsquelle genutzt wird. Wenn ein Rauschzustand in einem Film thematisiert wird, spielt auch die musikalische Untermalung eine wichtige Rolle.

„The interpenetration of music with trancing is ancient and universal. I suspect that most, if not all, societies have some form of institutionalized, religious trance ceremonies that also include music. […] Musical immersion stimulates emotion and faciliates their [trancers] special attentiveness, their special consciousness.”[1]

Musik nimmt auch eine zentrale Rolle in Disneyfilmen ein. Deshalb wird in diesem Blogpost der Zusammenhang von Rauscherfahrungen im Film und der zugehörigen Filmmusik am Beispiel einer Rauschszene eines Disneyfilms näher erläutert. Die aktuelle Zeichentrickfilmmusikforschung beschäftigt sich auch mit diesem Thema und ist zu dem Entschluss gekommen, dass Musik in vielerlei Hinsicht im Zusammenhang mit Drogenerfahrungen steht. Unter Drogeneinfluss kommt es zu einer Sensibilisierung verschiedener Sinne wie dem Hörsinn, Sehsinn, Geruchssinn oder auch der allgemeinen Gefühlslage. Deshalb erlebt man Musik im Rauschzustand ganz anders als wenn man nüchtern ist. Alles wirkt intensiver, man nimmt es oft mit einer ekstatischen Begeisterung wahr und sieht eine tiefere Bedeutung dahinter. Musik wird in veränderten Bewusstseinszuständen deshalb auch genutzt um neue, noch nicht erschlossene Bewusstseinsregionen zu entdecken.[2]

Mit diesem Vorwissen soll dieser Blogpost eine Erweiterung des Posts „Warum Walt Disney immer schon als Vorreiter im Bereich psychedelischer Szenen im Animationsfilm galt.“ darstellen und die Szene Pink Elephants on Parade aus dem Film Dumbo, der erstmals 1941 erschien, analysieren. Dumbo war der vierte ausgedehnte Zeichentrickspielfilm von Disney und handelt von einem Elefanten mit riesigen Ohren, der sein Leben lang immer ausgegrenzt und als Außenseiter behandelt wurde und dann nach einer psychedelischen Erfahrung, induziert durch die unbeabsichtigte Einnahme von Alkohol, an einen Wendepunkt geriet. Er erlitt im Laufe seines Lebens immer wieder verschiedene Traumata und brauchte einen Mentor, in dem Fall seinen Freund Timothy Mouse, der an ihn glaubt und einen Katalysator, in dem Fall den Rausch, um diese zu verarbeiten und etwas Positives daraus ziehen zu können. Während seines Rauschzustandes sieht er pinke, tanzende Elefanten am Nachthimmel. Bildhafte Fantasien und die dazugehörigen Gefühlszustände helfen ihm in diesem Fall in sein Inneres vorzudringen und seine inneren Konflikte bzw. seine alten Traumata zu bewältigen.

Dumbo Pink Elephants on Parade HD - YouTube
Elefantenherolde

Der LSD Forscher Stanislav Grof entwickelte das Konzept der perinatalen Erfahrung unter Drogeneinfluss. „Unter der Voraussetzung, „daß [sic!] diese Substanz ein unspezifischer Verstärker psychischer Prozesse ist, der aus der Tiefe des Unbewußten [sic!] Elemente der verschiedensten Art an die Oberfläche bringt“[3] setzte er sich in den 70er Jahren für den therapeutischen Einsatz von LSD ein. Er und auch andere Drogenforscher würden in Dumbos Fall von einer Rauscherkenntnis, die außerhalb des rational-sinnlichen Wachbewusstseins gemacht wurde und so Einsichten vermittelt, die das herkömmliche Erkenntnisvermögen übertreffen, sprechen.[4] In Dumbos Vision der pinken Elefanten, konnte er fliegen und als er nach dieser psychedelischen Erfahrung wieder erwachte fand er sich auf einem Baum wieder, den er nur erreichen konnte, weil er tatsächlich hinaufgeflogen ist. Somit wurde er in seinem Rausch dazu inspiriert zu fliegen, was ihm half seine Traumata zu überwinden. Um das Thema Musik wieder aufzugreifen kann man auch die akustischen sowie die musikalischen Merkmale dieser Schlüsselszene analysieren. Denn Musik nimmt Einfluss auf die Stimmung und kann genauso wie die aktuelle Stimmungslage Einfluss auf den Verlauf des Rausches oder Trips nehmen. Da Dumbo sehr traumatisiert ist, fängt sein Trip eher wie ein Horrortrip an. Aus einer großen Sektblase aus seinem Rüssel bilden sich vier pinke Elefanten, deren Rüssel sich zu Trompeten formen. Diese vier Elefanten stehen für Herolde, die in der Geschichte wichtige Ereignisse mit Trompeten ankündigten. In Dumbos Fall markierten die Elefantenherolde nicht den Beginn einer Euphorie, sondern den einer Schreckensvision. „Die Musik ist hierbei Anzeichen und Auslöser zugleich“[5] Nach den Elefantenherolden ist eine Parade zu sehen, die von einem Marsch in Moll von Edward H. Plumbs begleitet wird. Schepperndes Blech, Xylophone und Glockentöne sind zu hören. Zeitgleich sind beängstigende Bilder von Elefanten zu sehen. Danach folgt der Song Pink Elephants on Parade, der vom Volksensemble The Sportsman intoniert ist. Der Horrortrip, der mit Elefantenherolden startet und dann Grimassen und Masken abbildet wandelt sich langsam zu bunten, bewegten Formen. Die Dysphorie wandelt sich zu Euphorie und die marschierenden Elefanten werden zu tanzenden Elefanten. Der Tanz erinnert an einen lateinamerikanischen Mambo und vermittelt eine sehr sorglose, positive und befreite Stimmung.

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Die langen instrumentalen Passagen, das Verwenden verschiedener exotischer Instrumente und die Vereinigung unterschiedlicher Musikstile und Stimmungen, fanden sich auch im späteren psychedelischen Rock wieder.[6] Was Pink Elephants on Parade zu einer wichtigen Inspirationsquelle macht und Einfluss auf viele nachfolgende Rauschszenen aber auch musikalische Werke hat.


[1] Becker, Judith: Deep Listeners Music, Emotion and Trancing, Bloomington 2004, S. 1

[2] Herzfeld, Gregor: Disney psychedelisch. Musik und Rausch im Zeichentrickfilm, Acta Musilogica 214, Vol 86/1, S. 131

[3] Grof, Stanislav: Topographie des Unbewussten.LSD im Dienst der tiefenpsychologischen Forschung, G.H. Müller, Stuttgard 1978, S. 14

[4] Herzfeld, Gregor: Disney psychedelisch. Musik und Rausch im Zeichentrickfilm, Acta Musilogica 214, Vol 86/1, S. 134

[5] Ebda. S. 139

[6] Ebda. S. 140

Die Verwendung verschiedener Tonkonventionen in Traumsequenzen

Die optische Darstellung von veränderten Bewusstseinszuständen wurden schon in dem Blogpost „Die Ästhetik der Darstellung induzierter Bewusstseinsveränderungen im Film“ behandelt und auch auf das Thema Traumsequenzen wurde im Post „Die Verwendung von Traumsequenzen in narrativen Filmen“ schon eingegangen. Dieser Blogpost beschäftigt sich ebenfalls mit diesen Themen, beleuchtet jedoch nicht das Thema Bewegtbild sondern Sound.

Begleitmusik, Sound und Soundeffekte spielen schon seit den Anfängen der Filmgeschichte eine große Rolle. Schon als es nur Stummfilme gab wurden diese im Kino mit Musik begleitet. Der Film sowie der Stummfilm sind nämlich beides keine rein visuellen Phänomene. Filmmusik untermalt und verstärkt nicht nur die visuellen Reize von Filmen, sie schottet den Zuseher auch von seiner Umwelt ab und zieht ihn in die Handlung hinein. René Clair spricht bei diesem Phänomen auch von einer betäubenden Wirkung.[1] Gerade in Traumsequenzen kann der Sound ein kontroverses Thema sein. Um eine Abgrenzung zwischen Traumsequenz und Realitätseindruck zu schaffen gibt es zwei Herangehensweisen.[2]

  • Die erste beruht auf dem Hinzufügen von Klang und Klangobjekten. Dies kann einen Irritationsmoment auslösen und so den Traum als solchen kennzeichnen oder auch nur sehr subtil verwendet werden.
  • Die zweite nutzt genau das Gegenteil. Der Realitätseindruck wird durch eine Ausdünnung akustischer Reize abgeschwächt. Auch diese Möglichkeit kann von einer sehr subtilen Reduktion von Geräuschen bis hin zu Stille reichen.

Basierend auf diesen beiden Methoden können verschiedenste Gestaltungsmethoden und Tonkonventionen eingesetzt werden, die im Folgenden näher erklärt werden.

  1. Ausblendung von Umgebungsgeräuschen

Vor allem in urbanen Umgebungen kann fast von einer Reizüberflutung akustischer Reize gesprochen werden. Menschen sind permanent ihrer akustischen Umwelt ausgesetzt, was die Absenz von Geräuschen hervorstechen lässt und einen Kontrast zu den üblichen Umgebungsklängen darstellen kann. In Traumsequenzen können Geräusche langsam abklingen oder auch direkt in eine abrupte Stille übergehen.

  1. Stille

Wie auch das Ausblenden und die Reduktion von Umgebungsgeräuschen, stellt Stille einen starken Kontrast zur gewohnten Umgebung dar. Interessant an diesem Stilmittel ist, dass sich die Bilder durch das Fehlen der Audiospur nicht verändern. Meist ist der Ursprung der Geräusche, die zuvor gehört wurden, in der Traumsequenz aber nicht vorhanden sind, trotzdem weiterhin zu sehen.

  1. Fokus auf einzelne Geräusche

Nicht nur der Fokus auf die Stille, sondern auch der Fokus auf ein bestimmtes Element der Tonspur sticht aus üblichen Umgebungsgeräuschen hervor. Teile der Tonspur verstummen und rücken andere, zu diesem Zeitpunkt relevantere, in den Vordergrund. Flückinger spricht bei diesem Phänomen auch von einer antinaturalistischen Selektion.[3] Stille sowie die Konzentration auf ein bestimmtes Geräusch oder einen bestimmten Aspekt der Tonspur geht oft mit einem Blick nach Innen einher und richtet die Aufmerksamkeit eines Charakters oder auch der Zuseher auf sich. Beispiele dafür sind das Ausblenden aller Geräusche, ausgenommen dem Atem oder dem Herzschlag. Auch innere Monologe zählen zu diesem Phänomen. Meist wird der Fokus auf die Klänge gerichtet, die eine dramaturgisch wichtige Funktion einnehmen oder von großer Bedeutung für den betroffenen Charakter sind. Auch übertriebenes Lautstärkeempfinden ist abhängig von der Person und ihrer Wahrnehmung. Diese Stilmittel gehen oft mit visuellen Methoden wie einer Schärfeverlagerung, der Lichtsetzung oder Änderung der Einstellungsgröße einher.[4]

  1. Hall

Zu den häufig verwendetet klanglichen Traummarkierungen gehört auch der Hall. Besonders wenn vor dem Einsetzen dieses Stilmittels Stille geschaffen wird, weist Hall eine sehr besondere Klagcharakteristik auf. Um Hall noch zu verstärken wird oft auf visuelle Stilmittel, wie Doppelbelichtung oder verschwommene Bewegungen zurückgegriffen, was zu einer Verdichtung von auditiven Informationen führt.[5]

  1. Dröhnen und Grollen

Diese klanglichen Auswüchse von Naturphänomenen kommen vor allem bei der Darstellung von Albträumen zum Einsatz, da sie einen bedrohlichen Eindruck machen und sich so direkt auf die Spannung einer Szene auswirken. Der Zuschauer empfindet dadurch die gleiche Angst und Aufregung, wie auch der Protagonist der Szene.

  1. Veränderung des Frequenzbereichs

Ein weiteres Stilmittel zur Abgrenzung eines Traums von der Realität ist die Verlagerung der akustischen Reize in tiefe Frequenzbereiche. Die dadurch gekennzeichnete Wahrnehmungsveränderung wird dadurch erreicht, dass die Klänge in höheren Frequenzbereichen, die für die Präsenz eines Klanges verantwortlich sind, herausgefiltert werden.

  1. Ton-Bild-Inkongruenz

Einige der bereits genannten Tonkonventionen können auch unter dem Begriff Ton-Bild-Inkongruenz zusammengefasst werden. Das Aufheben der Synchronität zwischen Bild- und Tonspur schafft es, dem Ton eine zusätzliche Funktion zu geben. Der Ton kann dadurch etwas suggerieren, das im Bild nicht wahrzunehmen ist. Auch ein Zeitunterschied oder eine zeitliche Verschiebung von Bild und Ton kann hierbei zum Einsatz kommen und fällt unter Ton-Bild-Inkongruenz.[6]

  1. Externe Reize als Zusatz

Die letzte Tonkonvention, die in Traumsequenzen häufig verwendet wird, auf die näher eingegangen werden soll, ist der Zusatz von externen Reizen aus der Wachwelt. Wie auch in realen Träumen, können Geräusche aus der realen Welt in Träume integriert werden und andere Funktionen einnehmen. Erst das mehrfache Wiederholen eines Geräusches schafft es eine Verbindung zwischen dem Traum und der realen Welt zu schaffen und den Charakter der Traumsequenz aufzuwecken.

So unterschiedlich die visuellen Stilmittel und Abgrenzungsmerkmale von veränderten Bewusstseinszuständen, wie zum Beispiel Träumen sein können, so unterschiedlich sind auch die auditiven Tonkonventionen. Wichtig ist nur der Kontrast zwischen realer Welt und Traumsequenz. Auf welche Art sich diese Beiden unterscheiden und wie die Grenze gezogen wird ist von Film zu Film unterschiedlich.


[1] Brütsch, Matthias: Traumbühne Kino. Der Traum als filmtheoretische Metapher und narratives Motiv, Schürer 2010, S. 36f

[2] Nguyen, Michael: Veränderte Bewusstseinszustände. Subjektivierung und Traumdarstellung im Filmton, ungedruckte Bachelorarbeit, Fachhochschule Dortmund 2017, S. 83

[3] Flückinger, Barbara: Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films, Schürer 2012, S. 407ff

[4] Nguyen, Michael: Veränderte Bewusstseinszustände. Subjektivierung und Traumdarstellung im Filmton, ungedruckte Bachelorarbeit, Fachhochschule Dortmund 2017, S.89ff

[5] Nguyen, Michael: Veränderte Bewusstseinszustände. Subjektivierung und Traumdarstellung im Filmton, ungedruckte Bachelorarbeit, Fachhochschule Dortmund 2017, S.94

[6] Nguyen, Michael: Veränderte Bewusstseinszustände. Subjektivierung und Traumdarstellung im Filmton, ungedruckte Bachelorarbeit, Fachhochschule Dortmund 2017, S.104f

Die Funktion illegaler Drogen im Film

Im Blogpost „Die Verwendung von Traumsequenzen in narrativen Filmen“ wurde bereits auf die Rolle von Träumen eingegangen. Dieser Blogpost soll daran anknüpfen und die Rolle von Drogen und Drogentrips im Film behandeln. Wie man aus dem Blogpost „Rauschzustände im Film. Der Sprung vom Experimentalfilm zum Spielfilm ins Mainstreamkino“ schon herauslesen konnte, schienen Drogen schon sehr früh in der Filmgeschichte auf und übernahmen zu unterschiedlichen Zeiten und gesellschaftlichen Entwicklungen auch unterschiedliche Rollen.

Akt der Zerstörung und Isolation

Sehr häufig besteht die Funktion von Drogen im Film darin, einen Akt der Zerstörung und Isolation zu Symbolisieren. Beispiele dafür wären der Abstieg und die Rettung des Junkies Jim Carroll in „Jim Carroll – In den Straßen von New York“ (1995),  der Selbstzerstörungswahn in „Fear and Loathing in Las Vegas“ (1998) oder der Drogenkonsum in dem Film „Walk the Line“ (2005) der den biografischen Hintergrund des Musikers Jonny Cash aufzeichnet.

Opfer von Drogen und Gesellschaft

Der Hauptcharakter in „Jim Carroll – In den Straßen von New York“ (1995) befindet sich nicht nur in einem Akt der Zerstörung, sondern nimmt auch eine Opferrolle ein. In dem Film „Requiem for a dream“ (2000) wird Drogenkonsum ebenfalls als „zerstörerischer Albtraum ohne Hoffnung“ dargestellt[1] und der Film „Dealer“ (1998) thematisiert mithilfe einer Charakterstudie eines Dealers die Hilflosigkeit von Süchtigen.

Droge als einziger Ausweg

In den Filmen „Jim Carroll – In den Straßen von New York“ (1995) und „Walk the Line“ (2005) werden Drogen als Ausweg aus Sinneskrisen oder persönlichen Krisen genutzt, während sie in „Clockers“ (1995) den letzten Ausweg zur Existenzsicherung darstellen und in dem Film „Knallhart“ (2005) die Drogenmafia als letzte Lösung auf eine Chance auf Sicherheit und Schutz vor Bedrohung und Gewalt gesehen wird.

Flucht vor der Realität

Auch die Funktion als Fluchtmöglichkeit um der Realität oder seinem Alltag zu entkommen, wird, wie in den Filmen „Candy“ (2005), „Wasted!“ (1996) und „Human Traffic“ (1999) zu sehen ist, gerne eingenommen. Im Film „Trainspotting“ (1995) wird eine bewusste Entscheidung Drogen zu nehmen getroffen, um der normalen konsumorientierten Welt zu entkommen.

Bewusste Entscheidung

Wie gerade erwähnt wurde ist der Film „Trainspotting“ (1995) ein gutes Beispiel für die bewusste Entscheidung zum Drogenkonsum. Doch auch für den Konsum von Marihuana wird oft eine bewusste Entscheidung getroffen, da Marihuana in den Filmen „Grasgeflüster“ (2000) und „Lammbock – Alles in Handarbeit“ (2001) auch die Rolle als Genussmittel einnimmt. Der Film „Groove 130bpm“ (2000) stellt Drogen ebenfalls als Genussmittel dar, wenn es kontrolliert eingenommen wird.

Verstärkung der Sinne

Der Film „Candy“ (2005) ist ein gutes Beispiel für die Funktion von Drogen als Sinnesverstärkung. Der Film behandelt die Verstärkung der Euphorie und die Intensivierung der Liebe durch Drogenkonsum.

Drogen als Ersatz und Kompensation

In „Traffic – Die Macht des Kartells“ (2000) werden Drogen konsumiert um Liebe und Anerkennung zu ersetzen und im Film „Clubbed to death“ nimmt der Drogenkonsum die Rolle als Ersatz und Ausdruck unerfüllter Sehnsucht ein.

Als Chance

Der Film „Maria voll der Gnade“ (2004) handelt vom Schicksal von kolumbianischen Drogenkurieren und stellen den Drogenhandel als Chance, eine bessere Zukunft aufbauen zu können, dar. Auch der Film „Blow“ (2001) handelt von einem Drogendealer und ermöglicht eine eher positive Sicht auf den Drogenhandel, da er auch in diesem Film genutzt wird, um der Erfüllung der Träume des Protagonisten näherzukommen.

Wie zu erkennen ist, nehmen Drogen, Drogenkonsum und -handel verschiedene Rollen in narrativen Filmen ein. Während der Konsum von Marihuana und Haschisch meist als Genuss und Betäubung der Sinne gesehen wird, tragen Drogen wie Heroin, Crack und Kokain meist schwerwiegendere Folgen wie Selbstzerstörung oder die Einnahme einer Opferrolle nach sich, wobei die Motive meist die Flucht vor der Realität oder der Drogenkonsum als letzter Ausweg sind. Drogenkonsum im partysetting wird auch sehr oft in Filmen thematisiert und wird genutzt um der Realität zu entkommen, unerfüllte Sehnsüchte zu stillen oder einfach um in den Genuss der Sinneserweiterung zu kommen. All‘ diese Filme nehmen jedoch gleichzeitig auch die Funktion als Informationsquelle ein und zeigen wie eine Sucht verlaufen kann, ermöglichen die Identifikation mit den Charakteren und geben einen Einblick in ihre Motive. Manche Filme legen größeren Wert auf diese Informationsfunktion und manche Filme gelten eher der Unterhaltung. Je nachdem um welche Filme es sich also handelt können sie auch zu Suchtprävention und Aufklärung herangezogen werden. [2]


[1] Goette, Sabine/ Röllecke, Renate: Illegale Drogen in populären Spielfilmen. Eine kommentierte Übersicht über  Spielfilme zum Thema illegale Drogen ab 1995. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2008, S. 23

[2] Goette, Sabine/ Röllecke, Renate: Illegale Drogen in populären Spielfilmen. Eine kommentierte Übersicht über  Spielfilme zum Thema illegale Drogen ab 1995. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2008

Die Verwendung von Traumsequenzen in narrativen Filmen

Der Zusammenhang von Freuds Psychoanalyse und Rauschzuständen wurde schon im Blogpost „Die psychoanalytische Filmtheorie von Rauschzuständen im Film“ thematisiert. Auch Träume können als eine Art Rauschzustand aufgefasst werden. Traumsequenzen im Film werden oft als Erzähltechniken verwendet um Zwischensequenzen von der Hauptgeschichte abzugrenzen. Dazu zählen sowohl Träume, Rückblenden, Visionen, Halluzinationen, Rauschzustände, Bewusstseinsveränderungen oder Phantasievorstellungen. Diese Zwischensequenzen grenzen sich durch Unterschiede, Raum und Zeit betreffend ab. Sie werden oft genutzt um einen tieferen Einblick in die Gedanken oder Psyche eines Charakters zu geben. Träume werden aber auch genutzt um einen Charakter auf neue Ideen zu bringen oder ihm bewusst zu machen, dass das Erlebte nicht real war. Dieser Prozess des sich etwas bewusst Werdens wird auch verwendet um unrealistischen Handlungssträngen wieder einen Kontext zu geben und aufzuklären, dass es sich dabei nicht um die Realität gehandelt hat. Meist handelt es sich bei diesen Traumsequenzen im Film nicht um luzide Träume. Die Person, die träumt ist sich dessen also nicht bewusst und bemerkt erst nach dem Traum, dass es sich um einen solchen gehandelt hat. Es wird prinzipiell zwischen zwei verschiedenen Arten von Traumsequenzen unterschieden.

  1. Klar geklammerte Traumerzählungen: Bei diesen Traumsequenzen ist dem Betrachter von Anfang an klar, dass es sich um einen Traum handelt. Oft wird der Ein- und Ausstieg in und aus dem Traum sogar in die Handlung miteinbezogen.
  2. Nachträglich konstruierte Traumerzählungen: Hierbei wird dem Betrachter erst im Nachhinein klar, dass es sich bei den Geschehnissen nicht um die Realität, sondern um einen Traum des Charakters gehandelt hat.

Traumsequenzen gehören außerdem zum „Spektrum der filmischen Darstellungsmöglichkeiten von Subjektivem, was in manchen Filmerzählungen dazu führt, dass Traumsequenzen zur psychologischen Ausgestaltung von Figuren verwendet und nach Freudschen Kriterien gestaltet werden.“.[1]

Um Traumsequenzen audiovisuell vom Haupterzählstrang zu trennen wird oft mit Musik, zum Beispiel Harfenklang, oder dem Verschwimmen eines Bildes gearbeitet. Der Traum selbst wird oft durch sehr phantastische und surreale Elemente, eine andere Farbgebung oder Unschärfe hervorgehoben.

Es gibt aber auch Regisseure, die solche üblichen audiovisuellen Abgrenzungstechniken bewusst meiden und lieber andere Zugänge, Mittel und Techniken verwenden um solche Sequenzen von der Hauptgeschichte zu trennen. Alfred Hitchcock hat 1945 Regie in einem der ersten Filme, die sich mit Sigmund Freuds Psychoanalyse beschäftigten, geführt. Hitchcock entschied sich bei dem Film Spellbound für eine zu dieser Zeit unübliche Art Träume darzustellen. Seiner Meinung nach waren Träume sehr lebhaft und klar, was die vernebelte, unscharfe Darstellung, die sonst verwendet wurde um Träume als solche zu kennzeichnen, ausschloss. In Zusammenarbeit mit Salvador Dalí entstand so eine Traumsequenz, die es schafft einen faszinierenden Einblick in die Psyche des Hauptcharakters zu geben. Dazu verwendet er Motive wie die fließende Zeit, verhüllt Gesichter oder Spielkarten. Die Szene gibt Aufschluss über unterdrückte Erinnerungen und Gründe für den Gedächtnisverlust des Charakters. Der Künstler Salvador Dalí wurde bereits in dem Blogpost „Warum Walt Disney immer schon als Vorreiter im Bereich psychedelischer Szenen im Animationsfilm galt.“ erwähnt. Er hat nämlich auch schon mit Walt Disney zusammen an Traumsequenzen für Animationsfilme gearbeitet und schon öfter surreale Elemente in seine Filme miteinfließen lassen.

Alfred Hitchcock’s Spellbound with Salvador Dalí

Wie also zu erkennen ist können Träume, Rückblenden, Visionen, Halluzinationen, Rauschzustände, Bewusstseinsveränderungen oder Phantasievorstellungen durch unterschiedliche audiovisuelle Merkmale vom narrativen Handlungsstrang abgegrenzt werden. Wichtig ist nur, dass sie sich überhaupt abgrenzen und in drastischem Gegensatz zur realen Welt stehen. „Der stilistische Bruch zwischen Realität und Traum ist absichtlich groß, um die Wünsche unerfüllbar und weltfremd erscheinen zu lassen.[2]


[1] o.V. (22.04.2012): Traumsequenz. In:

http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=7646 (zuletzt aufgerufen am 11.12.2020)

[2] Schöpe, Maria: Traumsequenzen. Ästhetik sequenzieller Imagination im Film. Diplomarbeit Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf Potsdam Babelsberg. Potsdam 2007, S.95

Rauschzustände im Film. Der Sprung vom Experimentalfilm zum Spielfilm ins Mainstreamkino

Wie im Blogpost „Die psychoanalytische Filmtheorie von Rauschzuständen im Film“ schon näher ausgeführt wurde, zählen zu Rauscherlebnissen im Film nicht nur durch Drogen und Rauschmittel induzierte Wahrnehmungsveränderungen, sondern auch Träume. In diesem Blogpost soll auf die Timeline, wann diese Themen wiederkehrend in Filmen aufgegriffen worden sind und wann sie es ins Mainstreamkino geschafft haben, eingegangen werden.

Spätestens in den 20er Jahren wurden vermehrt Träume und das Unbewusste in Filmen thematisiert, ein Beispiel dafür ist „Un Chien Andalou“, ein Film der 1928 erschien, bei dem Luis Bunuel und Salvador Dalí mitwirkten. Auch in Chaplins Filmen spielten Szenen, die Träume thematisieren eine große Rolle. In den 1920er Jahren fand jedoch nicht nur der Traum seinen Weg in die Filmwelt, auch das Thema Rausch und die Darstellung von Rauschzuständen kamen erstmals vor, wie am Film „Der letzte Mann“ von Friedrich Willhelm Murnau, der 1924 erschien, zu erkennen ist.

Un Chien Andalou

Im Blogpost „Die Ästhetik der Darstellung induzierter Bewusstseinsveränderungen im Film“ wurde auf verschiedene Merkmale, wie man solche Zustände filmisch aufgreifen kann, näher eingegangen. 1924 geschah dies hauptsächlich durch Überblendungen, Mehrfachbilder und eine schwankende, rotierende Kameraführung. Zu dieser Zeit war es hauptsächlich Alkohol, der für diese Rauschzustände verantwortlich war. Erst Jahre später in den 1950ern wurden auch Kokain oder andere Drogen filmisch aufgegriffen um Rauschzustände oder Wahrnehmungsveränderungen zu induzieren. Einer der Gründe wieso das zu dieser Zeit geschah, war der gesellschaftliche Diskurs in den 1950er Jahren, da zu dieser Zeit Drogen nicht nur im Film sondern auch in der Gesellschaft präsenter wurden. Zeitgleich entstand nämlich auch das Genre des psychedelischen Films. Zu psychedelischen Drogen zählen Substanzen wie LSD, Psilocybin, Kokain oder Meskalin, wobei in psychedelischen Filmen zu dieser Zeit hauptsächlich LSD thematisiert wurde.[1]

Nur ein geringer Teil der Filmemacher und Regisseure arbeitete mit diesem Genre. Zuerst wurden Rauschzustände hauptsächlich von Experimentalfilmern thematisiert. 1963 entstand der erste Mandala Film, der von John und James Whitney gemacht wurde. Mandala Filme stellten oft eine Mischung aus Rausch und Meditation dar. Später folgten auch unabhängige Dokumentar-, Animations- und Experimentalfilmer diesem Trend und versuchten „Zustände erhöhter Sensibilität für sensorische Reize, begleitet von Euphorie, dem Gefühl von Bewusstseinserweiterung, sowie Halluzinationen oder Sinnestäuschungen, aber auch psychotische Erlebnisse mit filmischen Mitteln darzustellen.“[2] Eines der Hauptziele dessen war, solche Zustände zu thematisieren und auch zu informieren, wie sich das anfühlen könnte, selbst einen Zustand der Wahrnehmungsveränderung zu erreichen. Ariane Beyn schrieb, dass es sogar scheint als wäre es möglich, dass psychedelische Filme „euphorische Stimmung direkt im Kinosaal“ erzeugen können.[3]

Mandala Film von John und James Whitney

In diesen Experimentalfilmen wurde oft mit Mandalas und spiritueller Farbsymbolik gearbeitet, „Figuren verlieren ihre Objektkonstanz, sie schwellen an, verändern die Form, transformieren zu anderen Figuren; Räume verlieren die Kontinuität, werden liquide oder nehmen andere Formen an“. Inspiration wird oft aus der Farb- und Formenwelt anderer Kulturen, vor allem dem chinesischen Ying und Yang oder den indischen Mandalas gezogen. Meist fand man sich in einer abstrakten Formenwelt wieder.[4]

Als dann Ende der 1960er Jahre die Drogenkultur mehr Popularität in der Gesellschaft erlangte, schaffte dieses Genre den Sprung vom Experimentalfilm zum Spielfilm. Filmen wie „Easy Rider“ (1969) von Dennis Hopper oder „Altered States“ (1980) von Ken Russell gelang der Aufstieg ins Mainstreamkino. Die Spielfilme unterschieden sich jedoch in einigen Aspekten von den Experimentalfilmen da sie nur einen Teil der filmischen Stilmittel, die schon davor verwendet wurden, übernahmen. Der Grundstein war aber gelegt und der Weiterentwicklung dieses Filmgenres sowie der Erlangung eines höheren Bekanntheitsgrads stand nichts mehr im Weg.


[1] Kruse, Patrick/ Wulff, Hans J.: Psychonauten im Kino: Rausch und Rauschdarstellung im Film. In: Kino im Kopf. Psychologie und Film seit Sigmund Freud. Berlin: Bertz + Fischer 2006, S.108

[2] Ebda. S.109

[3] Beyn, Ariane: Psych-Out. In: Starship, 5. S. 77ff

[4] Kruse, Patrick/ Wulff, Hans J.: Psychonauten im Kino: Rausch und Rauschdarstellung im Film. In: Kino im Kopf. Psychologie und Film seit Sigmund Freud. Berlin: Bertz + Fischer 2006, S.110

Die psychoanalytische Filmtheorie von Rauschzuständen im Film

Rauschzustände im Film sind nicht allein auf Drogen und Alkohol zurückzuführen. Auch die Traumdarstellung oder induzierte Wahrnehmungsveränderungen durch Meditation zum Beispiel kann als Rauschzustand aufgefasst werden. Einen Zusammenhang zum Film bzw. die Legitimität Träume und Rauschzustände als Bewegtbild festzuhalten, ist insofern gerechtfertigt, da sowohl der Traum als auch Halluzinationen, egal ob durch Drogen induziert oder nicht, sich einer visuellen Sprache, also Bild und Ton, bedienen. Auch wenn Freud anderer Meinung war, diese Wahrnehmungsveränderungen für ihn keine audiovisuellen Phänomene waren, sondern nur durch Worte beschrieben werden konnten, tat er sich schwer Träume in Worte zu fassen. Außerdem wird in der Filmtheorie schon lange davon gesprochen, dass es sich bei Filmen prinzipiell um Traumdarstellungen handelt. Regisseure wie Fritz Lang bezeichnen den Regisseur deshalb auch als Psychoanalytiker. Sowohl die Psychoanalyse, das Erforschen fremder Psychen als auch die Psychonautik, das Erforschen der eigenen Psyche können dabei eine Rolle spielen.[1]

Kruse und Wulff schreiben in ihrer Publikation „Psychonauten im Kino: Rausch und Rauschdarstellung im Film“: „Der Gebrauch von Drogen im Selbstversuch zur Erforschung der Psyche und des Unterbewusstseins – des eignen , aber auch des fremden – spannt die Brücke zwischen Psychonautentum und Psychoanalyse […]“[2]. Rausch steht aber laut Freud auch in einer engen Beziehung zum Traum, da sich beides unter anderem durch eine Veränderung oder Beeinträchtigung der Wahrnehmung äußern und es somit zu Halluzinationen kommen kann. Hierbei wird zwischen dem Drogenrausch, einem offenen System und dem Traumzustand, einem geschlossenen System differenziert. Diese zwei Systeme unterscheiden sich in der Hinsicht, dass man in einem offenen System in Einbeziehung seiner halluzinatorischen Sinneseindrücke frei handeln kann, während man in einem geschlossenen System von seinem Traum-Ich getrennt ist und diese Halluzinationen, wie Freud seine Träume nennt, eher von außen wahrnimmt. Wie luzide Träume zu behandeln sind, wird in den Artikeln von Kruse und Wulff nicht weiter behandelt. Da der Drogenrausch aber zwischen der Traumwelt und der realen Welt liegt, ist anzunehmen, dass luzide Träume ebenfalls weder zu dem einen, noch zu dem anderen gezählt werden können.

Neben der erschwerten Kategorisierung verschiedener Phänomene handelt es sich bei dem Widerspruch, dass Rauscherlebnisse sehr subjektive Erfahrungen sind, Filme aber allen zugänglich sind, um eine weitere Problematik, wenn es darum geht audiovisuelle Phänomene wie Träume, Rauschzustände und Halluzinationen durch das Medium Film darzustellen.

Zu den Gründen diese Zustände jedoch trotzdem zu thematisieren zählen die Veranschaulichung solcher Situation sowie das Wecken von Empathie. Oft wollte man den Menschen damit auch zeigen, wie es sich anfühlen könnte, selbst einen Zustand der Wahrnehmungsveränderung zu erreichen. Ariane Beyn schrieb, dass es sogar möglich wäre, dass psychedelische Filme „euphorische Stimmung direkt im Kinosaal“ erzeugen können.[3]

Filme sind als Medium dazu da um Zuschauer emotional zu berühren und eine Identifikation mit den Charakteren zu ermöglichen. Um das zu erreichen ist es wichtig, sowohl die Sichtweise des Charakters, der sich in einem Rauschzustand befindet, als auch die Sichtweise eines Außenstehenden zu beleuchten. Empathie ist eine weitere Voraussetzung um eine Identifikation mit dem Charakter sicherstellen zu können. Laut Wulff ist „Empathie […] eine der zentralen Formen des Versetzens in die Wahrnehmungsperspektiven dargestellter Figuren“[4]. Um eine solche Empathisierung zu erreichen gibt es zwei Möglichkeiten. Wulff unterscheidet zwischen der ausdrucksvermittelten Empathie und der situationsvermittelten Empathie. Die ausdrucksvermittelte Empathie ist das Deuten des Ausdrucks von Emotionen einer anderen Person und der Identifizierung mit diesen Emotionen – man fühlt mit dem Charakter mit. Die situationsvermittelte Empathie hingegen ist das Wahrnehmen der Situation, in der sich jemand befindet – man kann sich in seine Lage versetzen. Beide dieser Wahrnehmungsmöglichkeiten bilden die Grundlage für emphatisches Erleben und Mitfühlen. „Empathie ist als kognitive Fähigkeit anzusehen, die sich aus dem Wissen und dem Verstehen des Gefühls eines Anderen ergibt.“[5]

Um Rauschsituationen korrekt darstellen zu können, werden beide, also sowohl die Innen- als auch die Außenwahrnehmung einer Figur thematisiert. Der Grad an Empathie, der für einen Charakter dann empfunden wird ist sehr individuell und hängt von Faktoren wie Empathiebereitschaft, Erfahrungen oder der momentanen Stimmung ab. Diese visuelle Ausformulierung der Wahrnehmung, von Halluzinationen oder Rauschzuständen Anderer, kann dazu genutzt werden, Zusehern die Möglichkeit zu geben, sich in den Charakter hineinversetzen zu können und dann selbst emotional darauf zu reagieren. Somit erreicht das Medium Film genau das was es sollte, es ruft eine emotionale Reaktion der Zuschauer hervor und vermittelt neue Perspektiven.[6]


[1] Kruse, Patrick/ Wulff, Hans J.: Psychonauten im Kino: Rausch und Rauschdarstellung im Film. In: Kino im Kopf. Psychologie und Film seit Sigmund Freud. Berlin: Bertz + Fischer 2006, S.108

[2] Ebda. S.107

[3] Beyn, Ariane: Psych-Out. In: Starship, 5. S. 77ff

[4] Wulff, Hans J.: Empathie als Dimension des Filmverstehens. Ein Thesenpapier. In: Montage 12,1,2003 S.136ff

[5] Sok-Rok Song: Empathie und Gewalt. Studie zur Bedeutung von Empathiefähigkeit für gewaltprävention. Berlin: Logos 2001, S. 106f

[6] Kruse, Patrick/ Wulff, Hans J.: Psychonauten im Kino: Rausch und Rauschdarstellung im Film. In: Kino im Kopf. Psychologie und Film seit Sigmund Freud. Berlin: Bertz + Fischer 2006, S.111