Die psychoanalytische Filmtheorie von Rauschzuständen im Film

Rauschzustände im Film sind nicht allein auf Drogen und Alkohol zurückzuführen. Auch die Traumdarstellung oder induzierte Wahrnehmungsveränderungen durch Meditation zum Beispiel kann als Rauschzustand aufgefasst werden. Einen Zusammenhang zum Film bzw. die Legitimität Träume und Rauschzustände als Bewegtbild festzuhalten, ist insofern gerechtfertigt, da sowohl der Traum als auch Halluzinationen, egal ob durch Drogen induziert oder nicht, sich einer visuellen Sprache, also Bild und Ton, bedienen. Auch wenn Freud anderer Meinung war, diese Wahrnehmungsveränderungen für ihn keine audiovisuellen Phänomene waren, sondern nur durch Worte beschrieben werden konnten, tat er sich schwer Träume in Worte zu fassen. Außerdem wird in der Filmtheorie schon lange davon gesprochen, dass es sich bei Filmen prinzipiell um Traumdarstellungen handelt. Regisseure wie Fritz Lang bezeichnen den Regisseur deshalb auch als Psychoanalytiker. Sowohl die Psychoanalyse, das Erforschen fremder Psychen als auch die Psychonautik, das Erforschen der eigenen Psyche können dabei eine Rolle spielen.[1]

Kruse und Wulff schreiben in ihrer Publikation „Psychonauten im Kino: Rausch und Rauschdarstellung im Film“: „Der Gebrauch von Drogen im Selbstversuch zur Erforschung der Psyche und des Unterbewusstseins – des eignen , aber auch des fremden – spannt die Brücke zwischen Psychonautentum und Psychoanalyse […]“[2]. Rausch steht aber laut Freud auch in einer engen Beziehung zum Traum, da sich beides unter anderem durch eine Veränderung oder Beeinträchtigung der Wahrnehmung äußern und es somit zu Halluzinationen kommen kann. Hierbei wird zwischen dem Drogenrausch, einem offenen System und dem Traumzustand, einem geschlossenen System differenziert. Diese zwei Systeme unterscheiden sich in der Hinsicht, dass man in einem offenen System in Einbeziehung seiner halluzinatorischen Sinneseindrücke frei handeln kann, während man in einem geschlossenen System von seinem Traum-Ich getrennt ist und diese Halluzinationen, wie Freud seine Träume nennt, eher von außen wahrnimmt. Wie luzide Träume zu behandeln sind, wird in den Artikeln von Kruse und Wulff nicht weiter behandelt. Da der Drogenrausch aber zwischen der Traumwelt und der realen Welt liegt, ist anzunehmen, dass luzide Träume ebenfalls weder zu dem einen, noch zu dem anderen gezählt werden können.

Neben der erschwerten Kategorisierung verschiedener Phänomene handelt es sich bei dem Widerspruch, dass Rauscherlebnisse sehr subjektive Erfahrungen sind, Filme aber allen zugänglich sind, um eine weitere Problematik, wenn es darum geht audiovisuelle Phänomene wie Träume, Rauschzustände und Halluzinationen durch das Medium Film darzustellen.

Zu den Gründen diese Zustände jedoch trotzdem zu thematisieren zählen die Veranschaulichung solcher Situation sowie das Wecken von Empathie. Oft wollte man den Menschen damit auch zeigen, wie es sich anfühlen könnte, selbst einen Zustand der Wahrnehmungsveränderung zu erreichen. Ariane Beyn schrieb, dass es sogar möglich wäre, dass psychedelische Filme „euphorische Stimmung direkt im Kinosaal“ erzeugen können.[3]

Filme sind als Medium dazu da um Zuschauer emotional zu berühren und eine Identifikation mit den Charakteren zu ermöglichen. Um das zu erreichen ist es wichtig, sowohl die Sichtweise des Charakters, der sich in einem Rauschzustand befindet, als auch die Sichtweise eines Außenstehenden zu beleuchten. Empathie ist eine weitere Voraussetzung um eine Identifikation mit dem Charakter sicherstellen zu können. Laut Wulff ist „Empathie […] eine der zentralen Formen des Versetzens in die Wahrnehmungsperspektiven dargestellter Figuren“[4]. Um eine solche Empathisierung zu erreichen gibt es zwei Möglichkeiten. Wulff unterscheidet zwischen der ausdrucksvermittelten Empathie und der situationsvermittelten Empathie. Die ausdrucksvermittelte Empathie ist das Deuten des Ausdrucks von Emotionen einer anderen Person und der Identifizierung mit diesen Emotionen – man fühlt mit dem Charakter mit. Die situationsvermittelte Empathie hingegen ist das Wahrnehmen der Situation, in der sich jemand befindet – man kann sich in seine Lage versetzen. Beide dieser Wahrnehmungsmöglichkeiten bilden die Grundlage für emphatisches Erleben und Mitfühlen. „Empathie ist als kognitive Fähigkeit anzusehen, die sich aus dem Wissen und dem Verstehen des Gefühls eines Anderen ergibt.“[5]

Um Rauschsituationen korrekt darstellen zu können, werden beide, also sowohl die Innen- als auch die Außenwahrnehmung einer Figur thematisiert. Der Grad an Empathie, der für einen Charakter dann empfunden wird ist sehr individuell und hängt von Faktoren wie Empathiebereitschaft, Erfahrungen oder der momentanen Stimmung ab. Diese visuelle Ausformulierung der Wahrnehmung, von Halluzinationen oder Rauschzuständen Anderer, kann dazu genutzt werden, Zusehern die Möglichkeit zu geben, sich in den Charakter hineinversetzen zu können und dann selbst emotional darauf zu reagieren. Somit erreicht das Medium Film genau das was es sollte, es ruft eine emotionale Reaktion der Zuschauer hervor und vermittelt neue Perspektiven.[6]


[1] Kruse, Patrick/ Wulff, Hans J.: Psychonauten im Kino: Rausch und Rauschdarstellung im Film. In: Kino im Kopf. Psychologie und Film seit Sigmund Freud. Berlin: Bertz + Fischer 2006, S.108

[2] Ebda. S.107

[3] Beyn, Ariane: Psych-Out. In: Starship, 5. S. 77ff

[4] Wulff, Hans J.: Empathie als Dimension des Filmverstehens. Ein Thesenpapier. In: Montage 12,1,2003 S.136ff

[5] Sok-Rok Song: Empathie und Gewalt. Studie zur Bedeutung von Empathiefähigkeit für gewaltprävention. Berlin: Logos 2001, S. 106f

[6] Kruse, Patrick/ Wulff, Hans J.: Psychonauten im Kino: Rausch und Rauschdarstellung im Film. In: Kino im Kopf. Psychologie und Film seit Sigmund Freud. Berlin: Bertz + Fischer 2006, S.111