In der WDR Talkshow „Die letzte Instanz – Der Meinungstalk mit Steffen Hallaschka“[1] wird am 29.01.2021 unter anderem über die Frage diskutiert: “Das Ende der Zigeunersauce: Ist das ein notwendiger Schritt?”. Unter den geladenen Gästen Thomas Gottschalk, Micky Beisenherz, Jürgen Milski und Janine Kunze ist keine Person von Rassismus betroffen.
Steffen Hallaschka liest ein offizielles Statement des „Zentralrats deutscher Sinti & Roma“ vor:
„‘Zigeuner` ist eine von Klischees überlagerte Fremdbezeichnung der Mehrheitsgesellschaft, die von den meisten Angehörigen der Minderheit als diskriminierend abgelehnt wird – so haben sich die Sinti und Roma nämlich niemals selbst genannt.“
Auf der Webseite des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma heißt es weiter:
„Die Durchsetzung der Eigenbezeichnung Sinti und Roma im öffentlichen Diskurs war von Anfang an ein zentrales Anliegen der Bürgerrechtsbewegung, die sich vor allem seit Ende der Siebzigerjahre in der Bundesrepublik formierte. Dadurch sollte zugleich ein Bewusstsein für jene Vorurteilsstrukturen und Ausgrenzungsmechanismen geschaffen werden, die im Stereotyp vom „Zigeuner“ ihre Wurzeln haben. […] Die Bezeichnung „Zigeuner“ hingegen ist untrennbar verbunden mit rassistischen Zuschreibungen, die sich, über Jahrhunderte reproduziert, zu einem geschlossenen und aggressiven Feindbild verdichtet haben, das tief im kollektiven Bewusstsein verwurzelt ist. Ab dem 16. Jahrhundert setzte sich in Deutschland die (irrige) Auffassung durch, „Zigeuner“ sei abgeleitet von „Ziehgauner“. Auch in einem der ersten Lexikonartikel zum Stichwort „Zigeuner“, 1848 im Brockhaus erschienen, wird dieser Zusammenhang explizit hergestellt. Dort findet man die ganze Palette negativer Stereotypen über unsere Minderheit aufgelistet, bis hin zu der Behauptung, „Zigeuner“ würden Kinder stehlen. Noch in der 2. Auflage des Dudens sinn- und sachverwandter Wörter aus dem Jahr 1986 wird unter dem Stichwort „Zigeuner“ auf die Begriffe „Abschaum“ und „Vagabund“ verwiesen.“ [2]
Bei der Diskussion „Die letzte Instanz“ wurden diskriminierende und respektlose Aussagen kundgetan. Dass die Fremdbezeichnung „Zigeuner“ im Nationalsozialismus als Kategorisierung genutzt wurde, um Menschen auszuschließen, zu verfolgen und zu deportieren, wurde nicht thematisiert. Es wurde kein Verständnis für die von Rassismus betroffenen Personen gezeigt und auch keine Meinung einer betroffenen Person vertreten.
Der WDR äußerte sich daraufhin mit folgendem Statement vor der Sendung in der Mediathek:
Die Schauspielerin Janine Kunze entschuldigte sich nach großer öffentlicher Empörung ihrer Aussagen auf der Plattform Instagramm:
„Ich habe den ganzen Tag darüber nachgedacht, die richtigen Worte zu finden in Bezug auf das, was ich in der Sendung gesagt habe und wie sich diejenigen fühlen, die ich damit verletzt habe. Es tut mir unendlich leid und ich habe festgestellt, dass ich nicht ausreichend aufgeklärt bin. Mir ist klar geworden, dass ich Menschen, insbesondere die der Sinti und Roma Community, mit meinen unbedachten Äußerungen zutiefst verletzt, als auch diskriminiert habe und dafür möchte ich mich aufrichtig entschuldigen. Gerade ich als Mutter von drei Kindern, sollte aufgeklärter sein, wenn es um unser vorurteilsbehaftetes Sprachsystem geht, für dessen Mitgestaltung wir alle verantwortlich sind. Ich werde zukünftig meine Wortwahl überdenken, denn es war falsch, dass ich mir angemaßt habe, als privilegierte weiße Frau über ein Thema zu sprechen, welches ich in seiner Konsequenz und in seinen Ausmaßen nicht beurteilen kann!“
Die WDR-Umfrage „Das Ende der Zigeunersauce: Ist das ein notwendiger Schritt?“ wurde mit 15,9 % mit „Ja“ und mit 84,1 % mit „nein“ beantwortet, mit dem Hinweis: Das Ergebnis dieser Umfrage ist nicht repräsentativ. Rundungsbedingt kann es zu Abweichungen kommen.“
Viele weitere Umfragen bestätigen, dass in unserer Gesellschaft, aber auch europaweit wenig Verständnis für Sinti und Roma entgegengebracht wird und eine offene Ablehnung dieser Minderheit herrscht.
Dies zeigt, dass noch viel mehr geschichtliche Aufklärung notwendig ist.
1933 wurde mit dem „Gesetz zur Verhütung erkranken Nachwuchses“ die Zwangssterilisation von Sinti und Roma eingeleitet. Mit den Nürnberger Gesetze (15.09.1935) und dem „Blutschutzgesetz“ wurde die Überwachung, Aufenthaltsbeschränkung und Entrechtung der Sinti und Roma verstärkt. 1938 entstand die „Rassenhygienische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle“. 1938 wurde die „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ gegründet. Im Dezember 1938 erließ der SS-Chef H. Himmler den Befehl zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“.[4]
Am 16.12.1942 ordnete Himmler mit dem „Ausschwitzerlass“ die Deportation von Sinti und Roma in die Vernichtungslager an. Der Porajmos[5] ist die Spitze der Verfolgung, bei dem rund 500.000 Roma und Sinti[6] ums Leben kamen.
Wer sich der geschichtlichen Diskriminierung und Verfolgung bewusst ist, weiß wie sensible dieses Thema ist und mit wie viel Kraft sich alle gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma einsetzen müssen. Auch welchen Respekt wir Betroffenen entgegenbringen müssen, wenn über dieses Thema diskutiert wird.
Bildquelle: https://www.spiegel.de/kultur/tv/die-letzte-instanz-wdr-entschuldigt-sich-fuer-talkshow-zum-thema-rassismus-a-3ca6bd0d-0961-4f06-8776-ccd2126a1f8c [01.02.2021]
[1] WDR: https://www.ardmediathek.de/wdr/video/die-letzte-instanz-der-meinungstalk-mit-steffen-hallaschka/im-gespraech-mit-janine-kunze-und-thomas-gottschalk/wdr-fernsehen/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTFhOGU1NDM3LWJkMGItNDE2NC1hZDdiLWE1ZjYyYzIyMDlhMQ/
[2] Zentralrat Sinti und Roma: https://zentralrat.sintiundroma.de/sinti-und-roma-zigeuner/ [01.02.2021]
[3] Katapult. N°19 Oktober bis Dezember 2020 S. 42
[4] Die Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus (geschichte-bewusst-sein.de)
[5] Vgl. https://www.romarchive.eu/de/voices-of-the-victims/genocide-holocaust-porajmos-samudaripen/
[6] Vgl. https://www.erinnern.at/gedenktage/internationaler-tag-des-gedenkens-an-den-genozid-an-sinti-und-roma