Im letzten Teil haben wir erfahren, dass Menschen auch bei fiktiven Ereignissen Emotionen empfinden, indem die Spielwelt und deren Zusammenhänge von dem Spieler als die Realität angenommen werden und dieser sich somit in die Spielsituation hineinversetzen kann.
Wo liegt der Ursprung menschlicher Emotionen?
Zunächst stellt sich jedoch die Frage, wieso klangliche Ereignisse überhaupt emotionale Wirkungen bei Menschen erzeugen und was die Ursprünge dafür sind. Verschiedene Theorien nennen folgende Gründe:
- evolutionsbedingte menschliche Instinkte (z.B. um Gefahren zu erkennen)
- Mere-Exposure-Effekt: Wiederholte Wahrnehmung einer ursprünglich neutral beurteilten Sache führt zu Vertrautheit und somit zu positiver Bewertung
- Verarbeitungsflüssigkeit: leicht zu verarbeitende Wahrnehmungsreize werden als positiv bewertet
- Erinnerungen und Assoziationen
- Wahrnehmung des menschlichen Körpers, vor allem des eigenen Stimmorgans
- kulturbedingte angeeignete Erwartungshaltungen
Es wird davon ausgegangen, dass, vor allem im Hinblick auf musikalische Hörgewohnheiten, neben den im Laufe des Lebens angelernten Erwartungen, eine Kombination aus evolutionsbedingten Relikten, psychologischen und physiologischen Phänomenen die Gründe dafür sind, wieso Emotionen bei der Wahrnehmung von Klängen entstehen.
Typen von Emotionen
Bei der Kategorisierung von Emotionen betrachten wir zunächst das Medium Film. Dort unterteilt der Forscher Ed S. Tan Emotionen in zwei grundlegende Typen. Empathische Emotionen und nicht-empathische Emotionen. Empathische Emotionen werden durch die Handlung der Geschichte erzeugt und erfordern die Rolle des Beobachters des Zuschauers, der einen anderen und meist vielseitigeren Einblick in die Geschichte hat, als die Protagonisten. Nicht-empathische Emotionen werden hingegen durch einfache Sinneswahrnehmungen erzeugt, beispielsweise bei der Betrachtung einer schönen Landschaft oder eines/einer attraktiven Schauspieler/in.
In Videospielen hat der Spieler, im Gegensatz zum Film, eine aktive Rolle, indem er einen Protagonisten oder eine Partei steuert, womit die Vermutung nahe liegt, dass empathische Emotionen nicht empfunden werden können. Allerdings stellt man fest, dass auch diese Emotionen, trotz des einseitigen Einblicks in die Handlung, angesprochen werden. Zusätzlich kommt ein weiterer Emotionstyp hinzu, der Gameplay Emotion genannt wird und spielbedingter Natur ist. Es entsteht eine Verbundenheit zum Protagonisten aus dem Grund, zusätzlich zur gefühlten Empathie, weil der Protagonist ein Werkzeug darstellt, mit welchem das Ziel des Spiels erreicht werden muss. Der Spieler trägt Sorge dafür, dass dieses Ziel gelingt und widmet sich dementsprechend den Fähigkeiten und der Optimierung des Protagonisten.
Man kann nun ableiten, dass auch Sound einen Einfluss auf die verschiedenen Emotionstypen hat. Zusätzlich dazu müssen Klänge noch im Kontext des Spiels betrachtet werden. Diese werden grundsätzlich in zwei Kategorien eingeordnet.
Diegetischer Ton
Dieser bezeichnet Klänge, die in der Spielwelt stattfinden und somit, zusätzlich zum Visuellen, den Realismus und die Glaubwürdigkeit unterstützen. Diese sprechen im Fall von Umgebungsgeräuschen beim Spieler klassischerweise nicht-empathische Emotionen an. Gleichzeitig werden diegetische Klänge auch bewusst als Spielelement genutzt und aktivieren somit Gameplay Emotionen. Typisch hierfür ist beispielsweise in Spielen der Thief- oder Quake-Serie das Schleichen, das als grundlegendes taktisches Element genutzt wird, um vom Gegner nicht gehört zu werden.
Nicht-diegetischer Ton
Das sind Klänge, die nicht Teil der Spielwelt sind. Sie können jedoch Teil der Spielmechanik sein und Gameplay Emotionen erzeugen, wie z.B. User Interface-Sounds. Diese werden häufig so gestaltet, dass sie sich jedoch in das Setting der Spielwelt fügen und nicht als unpassend wahrgenommen werden. Weitere klassische nicht-diegetische Klänge sind der Soundtrack, der die emotionale Wirkung des Spiels unterstreicht und sogar steigert oder manchmal auch eine Erzählerstimme, die als narratives Element genutzt wird.
Realismus als Garant für Glaubwürdigkeit?
Unter der Annahme, dass Realismus ein Kriterium für die emotionale Zugänglichkeit zum Spiel ist, entsteht allerdings das Problem, dass diegetische und nicht-diegetische Töne einen grundsätzlichen Widerspruch darstellen. In der realen Welt hört man, in der Regel, nicht ununterbrochen ein Orchester im Hintergrund spielen, während man im Garten einer Tätigkeit nachgeht. Ein Soundtrack lässt dennoch ein Spiel nicht weniger realistisch wirken. Zwei Faktoren sind für dieses Phänomen zuständig:
Ein entscheidender Punkt, ist die Gleichzeitigkeit von Bild und Ton. Es muss also eine zeitliche Übereinstimmung gegeben sein, damit die beiden Elemente als eine Einheit gesehen werden können. Ein berühmtes Beispiel, welches dieses Prinzip veranschaulicht und in gewisser Weise eine Extremform darstellt, wäre das sogenannte Mickey-Mousing, bei welchem, passend zum Bild, Soundeffekte durch musikalische Motive ersetzt werden. Im Fall von Musik muss das so gesehen werden, dass ein Musikstück zeitlich passend zu einem Ereignis erklingt. Also wenn eine traurige Szene im Spiel erscheint, sollte auch die Musik auf dieses Ereignis reagieren und traurige Emotionen hervorrufen.
Abgesehen vom Mickey-Mousing sollte bei Soundeffekten außerdem gegeben sein, dass diese die grundsätzlichen klanglichen Charakteristiken des realen Gegenstücks besitzen. Diese Charakteristiken werden durch einen Durchschnitt klanglicher Eigenschaften verschiedener Objekte des gleichen Typs definiert. Jede Eisenstange klingt beim Aufprall auf dem Boden je nach Länge, Breite, Dichte des Materials unterschiedlich, dennoch haben alle Eisenstangen eine gewisse klangliche Grundcharakteristik. Diese gilt es als Sound Designer zu reproduzieren, wenn der Klang als glaubwürdig eingestuft werden soll. Dabei spielt es keine Rolle, auf welche Weise diese Klänge erstellt werden. Häufig werden viele Klänge so gestaltet, dass sie spektakulärer klingen und eine dramatischere Wirkung haben als in der Realität.
Realismus muss in Videospielen also als etwas Relatives gesehen werden. Er gewährleistet zu einem gewissen Grad Glaubwürdigkeit und erlaubt es dem Spieler die Handlung ernst zu nehmen und einen emotionalen Bezug zu dieser aufzubauen. Es muss allerdings auch beachtet werden, dass viele Klänge in Videospielen einen Nutzen haben, die Teil der Spielmechanik sind. Diese haben Vorrang und dürfen durchaus den Grad des Realismus einschränken, wenn damit das Gameplay verbessert wird. Trotzdem sollten diese Klänge passend gestaltet sein, damit sie in einem zusammenhängenden Kontext mit der Spielwelt und der Geschichte gesehen werden können.
Quellen: